Das Bocholter Stadtarchiv erinnert in seiner monatlichen Themenreihe diesmal an das Ladengeschäft des ehemaligen jüdischen Mitbürgers Norbert Lorch. Das Motiv stammt aus dem Jahre 1932 und zeigt besagtes Geschäft an der Adresse "Ostmauer 3".
Davor haben sich vermutlich der jüdische Geschäftsinhaber selbst und seine Ehefrau Elise Auguste geb. Kleine-Vehn gemeinsam mit ihrem Sohn positioniert. Die umfangreiche und offen auslegte Ware umfasst Kaninchen, Fasane und wenige Hasen.
Norbert Lorch führte die elterliche Pferdemetzgerei nach dem Tode seines Vaters im Jahre 1924 weiter und wandelte den Betrieb in eine Geflügel-, Eier- und Fellhandlung um. Bei einer unangekündigten Revision 1932 wurden jedoch offenbar "unhaltbare Zustände" im Schlachtraum festgestellt, wie eine ordnungsbehördliche Akte im Stadtarchiv festhält: Nur durch ein kleines Fenster belüftet, böte sich hinter dem Fenster in nur 30 cm Entfernung der Anblick der benachbarten Hausfassade. Weder Tageslicht noch Frischluft erreiche den Schlachtraum, auch weil die schmale Gasse völlig verschmutzt und eine Reinigung aufgrund der Enge vollkommen unmöglich gewesen sein solle.
Opfer antisemitischer Vorurteile
Einmal mehr zeigt sich in dieser Aussage die dichte Bebauung der Bocholter Innenstadt vor der Zerstörung. In ungewöhnlich scharfen Worten testierte der Polizei-Hauptwachtmeister Abbing dem Schlachtraum 1934 "einen saumäßigen Anblick" der "ekelerregend" sei. Der Oberbürgermeister sprach in einem Brief an den Regierungspräsidenten von einem Zustand "der jeder Beschreibung spottet". Offenbar beeinflussten antisemitische Vorurteile ihr Urteilsvermögen.
Weitere angebliche "unhaltbare" Mängel des aus einem Verkaufsraum, einem Schlachtraum mit integrierter Toilette und einem Aufbewahrungsraum bestehenden Geschäftes führten daraufhin am 24. Januar 1936 zur Schließung, woraufhin sich Norbert Lorch zuerst in dem Vertrieb von Gegenständen des täglichen Bedarfs und nach auch dessen Verbot mit dem Vertrieb von Fellen versuchte.
Der NS-Oberbürgermeister Emil Irrgang untersagte dann Ende 1936 endgültig den Betrieb der Geschäftsräume. Ohnehin sei das von der Witwe Hüls angemietete Gebäude baufällig, was als Begründung für die schrittweise wirtschaftliche Ausgrenzung herhalten musste. Der tatsächliche Abriss des angeblich so baufälligen Gebäudes erfolgte jedoch erst 1958. Zwar sicherten der NS-Oberbürgermeister und auch der Regierungspräsident Ende 1936 Norbert Lorch zu, dass eine Wiederaufnahme des Geschäftes in geeigneten Räumlichkeiten durchaus möglich sei, jedoch offenbaren aktenmäßiger Sprachgebrauch und auch Vorgehensweise der Entscheidungsträger ihre antisemitischen Beweggründe. Das städtische Ordnungsamt urteilte 1947, dass es "niemals zu einer Geschäftsschliessung gekommen [wäre], wenn es sich bei Lorch nicht um einen Juden gehandelt hätte."
Flucht in die Niederlande - Rückkehr nach Kriegsende
Auf seine wirtschaftliche Ausgrenzung und die gewaltsamen Verfolgungen jüdischer Personen reagierte Norbert Lorch mit seiner Flucht in die Niederlande, wo er von der Gestapo gefangen genommen und in ein Konzentrationslager deportiert wurde.
Nobert Lorch überlebte jedoch die Schreckensherrschaft und wagte nach Kriegsende den Neuanfang im kriegszerstörten Bocholt. Aus dem KZ heimgekehrt beantragte Norbert Lorch bereits im September 1945 die Wiedereröffnung seines Geschäftes für "Wild, Geflügel, Delikatessen, Obst, Gemüse und Felle", was ihm an der Stiftstraße 32 auch gelang.
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Foto des Monats 11/2024 Wildgeflügel- und Fellhandlung Norbert Lorch (Copyright: Stadtarchiv Bocholt, Bildsammlung Nr. 2441)