Fast bis auf den letzten Platz gefüllt war die Skylounge im Textilwerk am Donnerstag, 1. März 2018. Das Seniorenbüro und das Netzwerk Demenz hatten zum "Kompetenztag für pflegende Angehörige und Fachkräfte" eingeladen. Nach der Begrüßung durch die Leiterin des Seniorenbüros, Jutta Ehlting, fand Dr. Udo Baer, Dipl. Pädagoge und Kreativer Leibtherapeut sowie Mitbegründer der Zukunftswerkstatt therapie kreativ, schnell Zugang zu den Gästen. Und die machten sofort mit.
Unterstützung an die Hand geben
"Unser Anliegen als Netzwerk Demenz ist es, pflegenden Angehörigen und professionell Pflegenden Unterstützung zum Umgang mit erkrankten Menschen an die Hand zu geben", betonte Jutta Ehlting in ihrer Begrüßungsansprache. "Dabei ist es das Ziel, dass der Kranke größtmögliche Lebensqualität und Menschenwürde erlebt und die Pflegenden bei der Pflege und Betreuung gesund bleiben."
Die primären Leibbewegungen
Baer berichtete von einer Erkrankten, die nicht mehr sprechen, dafür aber singen konnte. "Da verständigen wir uns durch Singen, das geht", betonte Baer. "Wir haben nicht nur Worte, Begegnung geht auch anders und das zeige ich Ihnen anhand der primären Leibbewegungen."
Spürende Bewegungen als Schlüssel zur Kontaktaufnahme
Im Gespräch mit einer Pflegerin habe er mal gefragt, wie sie sich verhalte, wenn der zu Pflegende aufgeregt sei. "Erst einmal rede ich auf ihn ein", habe die Pflegerin berichtet, "dann fasse ich ihn an und spätestens dann klingt die Aufregung ab." "Das nennen wir spürende Begegnungen", erläuterte Baer. "Das Anschauen, das "In den Arm nehmen" - das sind Momente, die am Herzen hängen bleiben."
Zeitgleich habe er sich mit seinem Forscherteam mit der Säuglingsforschung beschäftigt und sei darüber zu den primären Leibbewegungen gekommen. "Väter und Mütter merken ohne Worte, was zu tun ist. Die spüren das." Auf verschiedenen Wegen könne man zu spürenden Begegnungen kommen:
Schauen
Tönen
Greifen
Drücken
Lehnen
Und so forderte er die Gäste auf, sich einen Nachbarn zu suchen, diesen anzuschauen und mit diesem in einer "Quasselsprache" zu reden. Anschließend sollte in eben dieser Quasselsprache, "das darf auch Suaheli sein", versucht werden, dem Gegenüber ein Kompliment zu machen. "Ich bin mir sicher, dass das angekommen ist", sagte Baer. "Klang, Tonalität, all das ist etwas Vertrautes, dass Sie mitbekommen und in der schon einmal erlebte Begegnung mitschwingt." Dabei helfe, gerade was Singen, Musik und Klänge anbelange, das Gedächtnis der Sinne.
Macht der Blicke
Anschließend forderte er die Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf, sich zwei Meter auseinander zu stellen und sich dann von oben nach unten anzuschauen. "Merken Sie, wie abschätzend das sein kann?", fragte Baer. "Da merken Sie die Macht der Blicke."
Mit dem einfachen "Hand geben" begann er die Übung "Anfassen". "Was merken Sie, wenn Sie auf den Gegenüber zugehen, ihm die Hand geben wollen und der diese dann verweigert? Sie merken, es macht Ihnen was aus, wenn die Ablehnung erfolgt."
Rundum gelungene Veranstaltung
Anregungen gab es auch aus den Reihen der Teilnehmerinnen und Teilenehmer. So gab Ute Sommers, Mitinhaberin eines Pflegedienstes in Bocholt, den Hinweis, im Rahmen der Ausbildung der Pflegerinnen und Pfleger unbedingt auf Geschichtskenntnisse zu achten. "Gerade Kenntnisse über Krieg, Misshandlungen und Vertreibungen, die Traumata auslösen können, erleichtern die Einschätzung des Verhaltens der Pflegebedürftigen", betonte Sommers.
"Wir haben mit 150 Teilnehmerinnen und Teilnehmern eine rumdum gelungene Veranstaltung gehabt", sagte Veranstalterin Jutta Ehlting. Besonders gefallen hätten den Gästen die vielen praktischen Übungen. "Die Resonanz aus ihren Reihen war auch klasse, viele hat es zum Nachdenken angeregt und sehr berührt."
Hintergrundinfos:
- Grußwort Jutta Ehlting
- Vortrag Dr. Baer
- Bildergalerie vom Kompetenztag