Ausnahmsweise befasst sich das nunmehr zur Präsentation angedachte Foto nicht wirklich mit seinem Inhalt. Dieses 1899 entstandene Abbild, die auf einem Untersatzkarton montierte Porträtvignette eines unbekannten Mannes in Anzugjacke, Fliege und Stehkragen ("Vatermörder"), fungiert vorerst nur als Stellvertreter für ein Produkt, gewissermaßen als Beispiel für ungezählte Fotoaufnahmen seines Herstellers.
Es wurde im Atelier des Fotografen Ernst Sontag aufgenommen. Der 1870 in Pössneck (Thüringen) geborene Meister übernahm am 28. Februar 1897 das Bocholter Fotostudio von Fritz Unverdroß, der seit einigen Jahren im Wiethold'schen Garten an der Schanze praktiziert hatte.
Nach einem rechtskräftigen Beschluss des Amtsgerichts lautete der Familienname "Sonntag", doch der neue Inhaber beließ es bei der bisherigen Schreibung "Ernst Sontag", vermutlich um ihre Auffälligkeit zu unterstreichen oder um eine Art Künstlernamen zu verwenden. In der Folge findet man die frühere Nennung weiterhin in den Anzeigen und natürlich auch bei den Atelierbezeichnungen auf den Fotografien selbst.
Ernst Sontag arbeitete während der ersten drei Jahre noch an der Schanze, verlegte aber am 19. Oktober 1900 sein Atelier von dort zum Südwall 1 (Ecke Kaiserstraße). In seiner Eröffnungsanzeige bekundete er: "Das Atelier ist mit den neuesten Apparaten und Objektiven, sowie mit den neuesten Dekorationen auf's beste, der Neuzeit in jeder Weise vollkommen entsprechend, eingerichtet." Dort fotografierte er fünfeinhalb Jahre, ehe er 1906 mit Max Bohn einen Geschäftsführer einsetzte und nach Wesel verzog. Er blieb aber weiterhin Eigentümer des Studios am Südwall und betrieb zeitweise auch eine Filiale an der Isselburger Straße in Anholt.
"Den höchsten Anforderungen gerecht"
Neben Porträts fertigte Ernst Sontag u. a. Gruppenaufnahmen oder Architekturbilder und stellte zudem Vergrößerungen bis Lebensgröße her. "Durch jahrelange Tätigkeit in nur ersten Geschäften des In- und Auslandes bin ich in der Lage, den höchsten Anforderungen gerecht zu werden", propagierte er in einer seiner Werbeanzeigen. Auf seiner Produktpalette standen ferner Moment-Kinderaufnahmen, farbige Fotografien in Öl-, Aquarell- und Pastellfarben, Emaillebilder für Broschen, Nadeln und Manschettenknöpfe.
Im Januar 1909 beauftragte Ernst Sontag den Fotografen Otto Vahle mit der Geschäftsführung. Doch ein Jahr später schon ging sein Atelier in den Besitz der Borkener Firma Elsner über. Vielleicht findet aber der eine oder andere in alten Familienalben oder in vergessenen Fotokartons noch Aufnahmen von Ernst Sontag. Wer mag, überlässt sie dem Stadtarchiv als Zeichen kulturgeschichtlicher Wertschätzung.
Foto: Stadtarchiv Bocholt / Text: Wolfgang Tembrink
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Foto des Monats Februar (Copyright: Stadtarchiv Bocholt)