Blinde Frauen ertasten zuverlässiger als jeder Arzt Tumore in der Brust, ein junges Mädchen, das mit Spalthänden auf die Welt gekommen ist, startete wie hunderttausende andere Jugendliche im Herbst ihre Ausbildung. Damit zeigen zwei Firmen in der Region: Die Inklusion lebt. Anlässlich der „Woche der Menschen mit Behinderung“, die bundesweit vom 2. bis zum 6. Dezember läuft, macht der Unternehmerverband auf die Potenziale aufmerksam, die Menschen mit Behinderung auch für den Arbeitsmarkt haben. Die Arbeitgeberorganisation appelliert an Betriebe und Verwaltungen, geeignete Arbeits- und Ausbildungsplätze bereitzustellen. „Menschen mit Behinderung müssen und können mit ihren individuellen Leistungen und Fähigkeiten in den Arbeitsmarkt integriert werden“, ist sich Wolfgang Schmitz, Hauptgeschäftsführer des Unternehmerverbandes, sicher. Immer mehr schwerbehinderte Menschen sind berufstätig, in NRW waren es 2017 256.611 Erwerbstätige mit anerkannter Schwerbehinderung. Zum Vergleich: 2007 waren es nur 191.240. „Auch die Zahl schwerbehinderter Auszubildender bundesweit ist in den vergangenen zehn Jahren durchgehend gestiegen – und zwar um fast ein Viertel“, weiß Schmitz. Eine „Schwerbehinderung“ ist nur in gut drei Prozent der Fälle angeboren; sie entsteht viel häufiger durch Krankheiten und Unfälle. „Ziel muss es sein, diese Menschen nach ihrer Rückkehr im Betrieb zu halten“, betont Schmitz. Gerade angesichts des zunehmenden Fachkräftemangels sollte auf das hohe Qualifikationsniveau von Menschen mit Behinderung nicht verzichtet werden. Zwei Beispiele, die zeigen, wie berufliche Integration von Menschen mit besonderen Handicaps erfolgreich gestaltet werden kann, sind im Mitgliederkreis des Unternehmerverbandes die Mülheimer Firmen discovering hands und ZENIT.  

Bei discovering hands werden blinde und sehbehinderte Frauen in der Brustkrebsfrüherkennung eingesetzt. Das Unternehmen arbeitet mit gynäkologischen Praxen im gesamten Bundesgebiet zusammen. Beim Gynäkologen dauere die Krebsvorsorge-Tastuntersuchung in der Regel nur wenige Minuten. „In dieser Zeit sind kleinere Knoten selbst von den erfahrensten Gynäkologen kaum aufzuspüren“, erläutert Arnd Helf, Geschäftsführer des Mülheimer Unternehmens. Die Medizinisch-Taktilen Untersucherinnen von discovering hands sind in der Lage, Knoten zu ertasten, die kleiner als eine Erbse sind. „Die Überlebenschance steigt so erheblich“, so Helf. Neben dem Aspekt der verbesserten Vorsorge sei vor allem eines wichtig: „Durch die Tätigkeit als MTU kommen die sehbehinderten Frauen raus aus der Mitleidsecke, in die sie leider oft gestellt werden. Sie erfahren Anerkennung, ihre besonderen Talente werden gewürdigt.“ Das bringe die Frauen in Situationen, in denen sie helfen, statt Hilfe annehmen zu müssen. „Es ist toll zu sehen, wieviel Selbstvertrauen sie dadurch gewinnen“, lobt Helf. Ein weiteres Beispiel für gelebte Inklusion ist die Innovations- und Europaagentur ZENIT mit Sitz in Mülheim. Hier ist eine Auszubildende zur Kauffrau für Büromanagement beschäftigt, die mit Spalthänden geboren wurde. Jennifer Dörseln verstärkt seit August das Team „und der erste gute Eindruck hat sich bestätigt. Für uns als Geschäftsführung war die Behinderung von Frau Dörseln absolut kein Grund, sie nicht einzustellen“, fasst Karsten Lemke, Geschäftsführer der ZENIT GmbH, die Haltung des Unternehmens und die ersten drei Monate zusammen. Jennifer Dörseln ist 18 Jahre alt und hat ihr Fachabitur auf einem Berufskolleg in Wirtschaft und Verwaltung in Essen absolviert. ZENIT als Unternehmen fand sie bei ihrer Suche nach einem möglichen Ausbildungsbetrieb spannend, weil sie die verschiedenen Beratungsthemen, aber auch die Vielzahl von Veranstaltungen interessant findet. Ihre angeborene Behinderung mit Spalthänden beeinträchtigt sie bei keiner der Tätigkeiten. Ihre Botschaft: „Ich kann jungen Menschen mit einem Defizit nur empfehlen, eine Ausbildung zu machen. Ich fühle mich bei ZENIT bestens aufgehoben und die Ausbildung macht viel Spaß. Gerade für Menschen mit Defiziten gilt: Ihr seid genauso toll wie andere und solltet – auch wenn es manchmal schwer fällt – um eure Ziele kämpfen und niemals aufhören, an euch zu glauben“. Dass auch in der Industrie zunehmend Menschen mit Behinderung beschäftigt werden, unterstreichen die Sozialpartner in NRW mit einer Gemeinsamen Erklärung, die am 5. Dezember bei einem Bocholter Metallunternehmen unterzeichnet wird. Unterzeichner werden METALL NRW, IG Metall, die Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit NRW und die Inklusionsämter des Landes sein

 

 

Foto 1: Gelebte Inklusion: Die Medizinisch-Taktilen Untersucherinnen von discovering hands leisten einen wichtigen Beitrag zur Brustkrebs-Früherkennung. (Foto: discovering hands)
Foto 2: Jennifer Dörseln wurde mit Spalthänden geboren und absolviert zurzeit erfolgreich ihre Ausbildung zur Kauffrau für Büromanagement bei der ZENIT GmbH. (Foto: ZENIT)